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Die Eisenbahngeschichte in Ostbayern begann am 25. Juli 1850. Damals befahl König Maximilian II. dem Landtag einen Gesetzentwurf über die „Einleitung zur Erbauung einer Eisenbahn von Nürnberg über Amberg nach Regensburg“ vorzulegen. Der eigentliche Startschuss für den Eisen­bahnbau in der nördlichen Oberpfalz fiel aber erst mit der Gründung der „Kgl. Priv. Aktien­gesell­schaft der Bayer. Ostbahnen“ im Jahre 1856.

Die Gesellschaft erhielt die Erlaubnis zum Bau und Betrieb von vier Grundstrecken, welche die großen Städte mit einander verbinden sollte. Der Verwaltungsrat der Ostbahn beantragte aber bald auch die Fortsetzung der Strecken durch die Oberpfalz nach Oberfranken. Am 1. Februar 1861 erteilte die Staatsregierung eine Projektierungskonzession für eine Eisenbahn von Schwandorf über Weiden nach Erbendorf und von dort weiter über Kemnath nach Bayreuth und für eine Zweigbahn von Erbendorf über Mitterteich zur Landesgrenze in Richtung Eger. Auch eine Verlängerung der Strecke über Riglasreuth, Waldershof, Marktredwitz nach Arzberg war geplant. Erbendorf war also damals als bedeutender Eisenbahn­knotenpunkt im Gespräch. Auch für die Verbindung Regensburg- Hof war 20 Jahre später wieder eine Führung über Erbendorf, durchs Naabtal nach Riglasreuth vorgesehen, wo sie in die Fichtelgebirgsbahn einmünden sollte. Weil aber für die Strecke über Erbendorf, „keine Petition einging“, - so ein Randvermerk - ließ man von dem Plan ab. Offensichtlich hatte Erbendorf hier eine einmalige Chance verpasst. Die Strecke lief wenige Kilometer entfernt von der Stadt vorbei.


Der Bahnbau beginnt
Bald wurde der Ruf laut, die Stadt Erbendorf doch wenigstens mit einer Bahn untergeordneter Bedeutung an das Eisenbahnnetz anzuschließen. Nach der Verabschiedung des Lokalbahngesetzes 1884 widmete sich der Staat vermehrt dem Bau von Lokalbahnen. Die Interessenten mussten allerdings den für den Bahnbau benötigten Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen. Für die Lokalbahnen galt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern. Dadurch konnte auf eine Bewachung der Übergänge verzichtet werden. Die königlich bayerische Staatsregierung legte allerdings erst 1903 einen Planentwurf für eine Nebenbahnlinie nach Erbendorf vor.  Die 6,45 Kilometer lange Strecke sollte bei Reuth von der Hauptstrecke abzweigen und über Krummennaab und Inglashof nach Erbendorf führen. Der Bau ging aber keineswegs reibungslos über die Bühne. Als man im Herbst 1905 mit dem Abstecken der Strecke begann mussten die Absteckpflöcke unter Polizeischutz gestellt werden.


Im Süden oder im Norden
In eine kritische Situation geriet die Gemeinde über die Frage: Wo soll der neue Bahnhof stehen? Im Norden oder im Süden der Stadt? Die Erbendorfer dachten nicht an ein ruhiges Abwägen des Für und Wider. Sie entfesselten vielmehr einen Streit und führten diesen so maßlos, leidenschaftlich, mit aller Gehässigkeit, dass darüber der ganze Ort zerfiel. Die Gemeindewahl vom 29. November 1905 sollte zeigen, welche der beiden Parteien, die Nord- oder die Südpartei, als stärkste ins Rathaus einzieht. Niemand wagte über den Ausgang der Wahl Voraussagen zu machen. Wenige Stimmen, ja vielleicht eine einzige könnten den Ausschlag geben. Deshalb verwunderte es nicht, wenn jede Partei heftig agitierte, jeder Partei jedes Mittel recht war. Man nahm neue Bürger auf, um mit ihren Stimmen dem Zünglein an der Waage nachzuhelfen. Am Wahltag selbst schleppte man den letzten zur Wahlurne, den gebrechlichen Greis und den Kranken aus dem Bett. Ein neutrales Abseitsstehen war Verbrechen.


Doch die Wahl brachte kein eindeutiges Ergebnis: Im neuen Gemeindekollegium saßen genau neu Südparteiler neun Nordparteilern gegenüber. Und dieses fatale Gleichgewicht wurde auch durch die folgenden Wahlgänge am 30. November und 14. Dezember nicht erschüttert. Als am 24. März 1906 Bürgermeister Christian Bauer starb, konnte man sich im Rathaus nicht auf einen Nachfolger einigen, so dass ein Magistratsrat die Geschäfte des Bürgermeisters führen musste. Erst der Tod des Bäckermeisters Christian Menner im Jahre 1908 änderte die Pattsituation, da für den Nordparteiler Menner ein Südparteiler einrückte. So konnte am 10. Juni 1908 der Spenglermeister Isidor Rittinger mit den zehn Stimmen der Südpartei gegen acht Stimmen der Nordpartei zu Bürgermeister gewählt werden. Die „schreckliche, bürgermeisterlose Zeit“ war zwar zu Ende, nicht aber der Kampf. Ja, er erbrannte nun umso ärger und so verbissen wurde er geführt, dass darüber Verwandtschaften und Freundschaften in die Brüche gerieten. Die Lehrer in der Schule hatten ihre liebe Not, wenn sie einen „Norderer“ zu einem „Süderer“ in die Schulbank setzten.Beide Parteien sollten „ihren“ eigenen Bahnhof bekommen. Die Haltestelle „Süd“ wurde von einer eigens gegründeten Genossenschaft errichtet und betrieben. Den Bahnhof „Erbendorf-Nord“ errichtete die Königlich Bayerische Staatsbahn. Um den Grunderwerb für den Bahnhof und die Trasse zu finanzieren ließ die Stadt Erbendorf den gesamten Gemeindewald abholzen.

Der Neuanfang
Am 1. Oktober 1909 wurde die Lokalbahn mit den beiden Bahnhöfen schließlich eröffnet, doch auch jetzt war der Streit nicht beendet. Im Jahr 1910 wurde die katholischen Seelsorgerstelle neu besetzt. Wie würde es der neue Pfarrer anstellen, um nicht gleich bei seinem Aufzug den halben Ort gegen sich aufzubringen? Der neue Pfarrer Franz Xaver Fleischmann tat er das einzig Richtige: er stieg in Reuth aus dem Zug und ließ sich mit der Kutsche nach Erbendorf herüberfahren.
Durch seinen Bahnhofsstreit war Erbendorf weltberühmt geworden. Unter der Überschrift „Erbendorf in Bayern: Ausschnitt und Modell aus deutscher Einigkeit“ erzählte das Pariser Weltblatt „LE TEMPS“ seinen Lesern den Erbendorfer Bürgerstreit. Erst der Erste Weltkrieg konnte die Wogen der Feindschaften glätten.

Neues Gewerbe für alte Stadt
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Lokalbahnstrecke zu einer wirklichen Lebensader für Erbendorf. Die im Tal der Fichtelnaab gelegenen Betriebe konnten leicht an die Linie angeschlossen werden. Bahnanschluss erhielten das Farbwerk Meier an der Plärnmühle, die Karolinensäge (später BERMAS-Kofferfabrik) an der Bruckmühle, die Lederfabrik Kammerer und das Sägewerk Nikol. 1911 wurde beim Nordbahnhof die „Erfa“ (Erste Bayerische Hafernährmittelindustrie) gegründet (heute Raiffeisenlagerhaus). Ludwig Hör erbaute 1921 beim Südbahnhof eine Lederfabrik. 1922 gründete Hans Schrembs beim ehemaligen Polierwerk „Frankenschleif“ eine Porzellanfabrik (ab 1940 Porzellanfabrik Seltmann). Die Firma Schmucker erbaute 1937 beim Südbahnhof ein Lagerhaus. Der Haltepunkt Inglashof wurde bereits 1938 wegen mangelnder Frequentierung wieder aufgelöst.
Neben Handwerk, Handel und Industrie hatte die Strecke auch für die Bürger der Stadt und die Menschen aus den umliegenden Dörfer eine große Bedeutung: Sie war der Anschluss an die große weite Welt. Schüler benutzten den „Bockl“ um täglich zur Schule zu fahren. Soldaten der beiden Weltkriegen fuhren mit der Eisenbahn einer ungewissen Zukunft entgegen. 

 
Die Frequenz des Bahnhofs Erbendorf-Nord überstieg stets die des „Südbahnhofes“. So wurden beispielsweise 1953 in Nord 13716 Fahrkarten verkauf, in „Süd“ nur 3347. Ein besonderes Ereignis war 1959 die 50 Jahr-Feier der Strecke. Der Sonderzug war mit Girlanden geschmückt.
Die Deutsche Bundesbahn stellte zum 27. Mai 1972 den Personenverkehr auf der Bahnstrecke ein. Die Stadt hatte für die beiden letzten Fahrten Freikarten für alle Schulkinder ausgegeben, damit sie noch einmal mit dem „Bockl“ fahren konnten. Vom Erbendorfer Marktplatz ging ein „Trauerzug“ hinunter zum Nordbahnhof. Die Delinquenten trugen Gehrock und Zylinder. Auf einem roten Transparent stand geschrieben: „Wir werden unseren Bockl nie vergessen!“ Die Blaskapelle „Neuhauer Boum“ begleitete den Trauerzug musikalisch. Traueranzeigen wurden verteilt.Von jetzt an wurde die Strecke nur noch im Güterverkehr betrieben. Das Aufkommen war alles andere als schlecht. Bedeutenden Kunden waren das Raiffeisenlagerhaus, die BERMAS-Kofferfabrik und die Porzellanfabrik Seltmann. Am Silvestertag des Jahres 1997 rollte der allerletzte Zug mit fünf Güterwaggons aus dem Nordbahnhof. Damit endete nach knapp 90 Jahren die Geschichte der Lokalbahnstrecke.
Zahlreiche Eisenbahnfans verfolgten mit Fotoapparaten oder Videokameras bewaffnet die letzte Fahrt. Massiv hatten sich die Bürgermeister von Erbendorf, Krummennaab und Reuth b. Erb. für den Erhalt der Strecke ausgesprochen. Doch aller Protest war vergebens.

Roland Wellenhöfer